Der peinliche Medienhype

Es folgen Ausführungen zum Presserat und einem Chefredakteur

Mit der Festnahme von Thomas Wüppesahl am 25. Oktober 2004 setzte eine fast tägliche Berichterstattung ein. Das wiederholte sich noch einmal zur Hauptverhandlung hin.

Das muss man aushalten.

Wobei das, was berichtet werden konnte, nach ein, zwei Artikeln hätte erledigt sein können. Dennoch warteten besonders die Hamburger Tageszeitungen fast täglich mit Aufgüssen des bereits Bekannten sowie Zitaten irgendwelcher - häufig anonym gebliebener - Personen auf, die in der Regel aus Polizei oder Staatsanwaltschaft stammen mussten. So bliesen die beteiligten instrumentalisierten Medien falsche Behauptungen oder Gerüchte zu Skandalnachrichten hoch, tendenziell durchgängig gegen Wüppesahl und verurteilten vor.

Zu verführerisch war die vorliegende Mischung:

Wie einladend.

Die beeindruckenderen „Berichte“ der so erstaunlich kreativen Medien werden in einer bevorstehenden Buchveröffentlichung dargestellt. Hier sei an wenigen Beispielen belegt, wie weit abseits des von den Medien selbst erlassenen Pressekodex die Berichterstattung gelegen hat. Das betrifft den Kern wie die Randbereiche des angeblich vorbereiteten Raubmord-Vorwurfs:

  1. Das Hamburger Abendblatt (HA) lässt am 27.10.2004 unter der Überschrift: „Chronik der Ermittlungsverfahren gegen den „bekennenden Querulanten“ den Artikel mit dem Satz enden: „Der Polizist hat eine Tochter, seine Lebensgefährtin arbeitet als Lehrerin.“ Tatsächlich hat er aber einen Sohn und die Oberstudienrätin ist mit ihm seit 1999 verheiratet.

    Oder zwei Tage später steht im selben Blatt, das immerhin für Hamburg mit einer Auflage von rund 250.000 die Meinungsführerschaft beansprucht: „Wüppesahl, verheiratet in zweiter Ehe...“. - In diesem Artikel wird die Leserschaft mit der Information, es handele sich um eine Grundschullehrerin, mit der er verheiratet sei, weiter desinformiert. Und die Mutter seines Sohnes, mit der er nicht verheiratet war, wird zur Ex-Frau erklärt, obwohl er in erster Ehe lebt. – Die schlechte Qualität der Recherchen des HA wird nur noch von der schlechten Ermittlungsqualität der Hamburger Polizei und der dazugehörigen Staatsanwaltschaft übertroffen.

    Es lohnt kaum, auf die Überschrift vom 27.10.2004 einzugehen, wonach Wüppesahl nicht nur als „ Querulant“ bezeichnet wird – bereits die Verwendung dieses Begriffs fällt unter den Tatbestand des Mobbing -, sondern das HA muss mit seinen heißblütigen Anwürfen noch weiter gehen, indem es ihn als einen „bekennenden Querulanten“ bezeichnet! Das wäre bereits medizinisch relevant, also krankhaft, wenn sich jemand zum Querulantentum bekennen würde. Von dem HA kann selbst die BILD- Zeitung offensichtlich noch lernen.

    Ein weiteres Beispiel aus dem HA-Artikel vom 27.10.2004: „Wüppesahl wird diesen Sommer (2004) zu sieben Monaten Haft verurteilt, nachdem er einen Lkw-Fahrer im Freihafen abgedrängt und fast überfahren hatte.“ Völlig falsche Wiedergabe des Tatvorwurfs. Später, nachdem im Dezember 2004, das Urteil aufgehoben worden ist, teilt das HA diese Tatsache gerade einmal in einem Halbsatz mit. Dabei ist der Beschluss des Hans. OLG nachgerade vernichtend für den kritisierten Richter, Herrn Holger Randel. Siehe auch verhindertes Schlusswort. Über diese Fakten ist im HA also so gut wie gar nichts zu lesen, während dafür ständig die alten selbst von Gerichten auf Null gedrehten Sachverhalte wieder und wieder mit dem Beigeschmack „Da war was dran. Da ist was dran. Da bleibt was dran.“ heruntergeleiert werden.

    Bereits dieser kurze HA-Artikel vom 27.10.2004 ist von einem solch üppigen Gebinde an Unwahrheiten durchtränkt, dass sich in der Tat ganz andere Fragen an das Heimatblatt Nr. 1 in Hamburg stellen, als nur die, warum es keine sachliche Berichterstattung zu bringen vermochte.

  2. In der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 4. November 2004 findet sich der Artikel: „Prozesse pflastern seinen Weg“, von Sabine Rückert, Hamburg. In diesem Artikel denkt Frau Rückert laut nach. Die Verlautbarung der StA Hamburg zur Festnahme Wüppesahls war bereits so außergewöhnlich reißerisch, dass es sich nachgerade anbot, noch einen draufzusetzen. So lässt sich in der DIE ZEIT unter anderem lesen: „Als andere Möglichkeit muss in Betracht gezogen werden, dass Thomas Wüppesahl den Verstand verloren hat. Diese Vorstellung liegt nicht so fern. Denn Wüppesahls ganzes Leben besteht aus Aufruhr und Anzeigen, Beschwerden und Beschuldigungen, Prozessen und Protesten.“

    In diesem Artikel wird zumindest nahegelegt, dass Wüppesahl den Verstand verloren habe. Man kann auch sagen: es wird suggeriert. (DIE ZEIT ist – eigentlich - ein angesehenes Medium.) Neben der Suggestion wird sogar „begründet“, dass er dem Wahnsinn anheim gefallen sein dürfte. Es handelt sich gewissermaßen um die favorisierte Erklärung, warum Wüppesahl die ihm vorgeworfene Tat begangen haben könnte. Rund eine Woche nach seiner Festnahme: er ist wahnsinnig geworden. – Nachdem er von eifernden Gegnern zum Querulanten gemacht worden war, wurde er vom Hamburger Abendblatt zum „bekennenden Querulant“ befördert und DIE ZEIT schaffte es, ihn ihrer Leserschaft (Auflage: rund 400.000) zum Verrückten zu erklären. - Es gab weder von ihm noch von seinen Verteidigern irgendwelche Erklärungen oder gar Interviews. Handelte es sich hier um Einflüsterungen „gut informierter Kreise“ vor dem Hintergrund der seit 1992 dienstintern betriebenen Psychiatrisierung? Zugesandte Leserbriefe wurden nicht abgedruckt. Warum ließ sich ein Massenmedium so instrumentalisieren? Denn: danach gab es bis heute (März 2008) keine weitere Berichterstattung.

    Diese Erklärungsbemühungen der ZEIT – Wüppesahl dürfte wahnsinnig geworden sein - sind später nicht einmal von dem Wüppesahl wahrlich nicht wohlwollenden Gericht in Erwägung gezogen worden. - Noch später – s.a. auf dieser Homepage unter „6. Der Wüppesahl zuteil gewordene Strafvollzug“ – ist in Testreihen, die er mit „gut“ und besser ablegte, seine vollständige Zurechnungsfähigkeit bestätigt worden! Aber vorher – auch zum Zeitpunkt der Festnahme – bemühten sich Hamburgs Exekutive und andere ihn über eine Psychiatrisierung vorzeitig in den Ruhestand zu schicken (s.a. „9. Beispielhaft: zwei Psychiatrisierungsversuche“ und „ 10. Etwas Biographisches mit dem Schwerpunkt politischer Tätigkeiten“). Darüber allerdings kein Wort. Weder zum Zeitpunkt der Festnahme, der Hauptverhandlung ( obwohl von der Verteidigung thematisiert!) oder danach.

    Sicherlich, Wüppesahl kann gar nicht erwarten, dass er immer eine solch fundierte und von Sachkenntnis geprägte Berichterstattung wie zu dem angeblichen Aktendiebstahl (hierzu siehe unter „8. Beispielhafte Auflistung von Strafermittlungen...“, dort die Ziffer 11.) erleben kann. Aber ein so offensichtliches Hereinfallen auf staatlich Gewünschtes und das gleichzeitige Ausblenden bedeutsamer Widersprüche hat hoffentlich Seltenheitswert?!

    Hier hätte zwingend ein weiterer Anknüpfungspunkt für eine kritische Gerichtsberichterstattung liegen müssen, um ganz andere Fragen zu stellen und diesen auch nachzugehen. Es gab Zeiten, in denen die vornehmste Aufgabe von Gerichtsreportern darin bestand, auf die Rechtsförmigkeit zu achten, Übergriffe staatlicher Organe (Staatsanwaltschaft, Gerichte, Polizei) auf die zum Beispiel Verteidigungsrechte von Angeklagten aufzugreifen. – Hier stattdessen: Mitschwimmen im Mainstream. – Es gab nach der Medienanalyse lediglich Die Tageszeitung (taz), die sich zuerst noch abhob. Das änderte sich, nachdem redaktionsintern eine weitestgehende Ablösung des ursprünglich tätig gewesenen Journalisten für die Berichterstattung zu diesem Prozeß organisiert worden war.

    Etwas mehr Überblick zu diesem instrumentalisierten Medienhype erhält man auf der Seite des Direktors René Schneider. Kann es sein, dass ein solches Vorgehen durch staatliche Organe gegen deren Kritiker etwas mit Psychoterror und Mobbing, zu tun hat? Kennen wir solche Methoden nicht aus der Deutschen Geschichte? Und aus immer noch (oder schon wieder) existierenden totalitären Regimes? Wieso lassen sich so viele Medien, auch DIE ZEIT, dazu missbrauchen, so ein staatliches Vorgehen zu stützen?

  3. Da das Hamburger Abendblatt so prägend für Hamburg und so erfreulich „seriös“ ist, sei hier noch ein Beispiel dieser Berichterstattung beschrieben: Am 28.10.2004, Überschrift: „U-Haft: Hamburger Staranwälte vertreten den ehemaligen Sprecher der „Kritischen Polizisten“. Dort ist zu lesen: „Erschrocken sind auch Wüppesahls Nachbarn: „Ich treffe ihn oft im Wald beim Joggen“, erzählt ein Anwohner. „Er ist hier durchaus als Querulant bekannt, aber so eine Tat ist ihm doch wohl kaum zuzutrauen. Kj/cd/jel“

    Abgesehen davon, dass das Zitat aus der Luft gegriffen sein dürfte, denn Wüppesahl ist seit 17 Jahren nicht mehr in oder für Geesthacht politisch tätig, sind die drei Kürzel „Kj/cd/jel“ hier mit angeführt, um zu dokumentieren, wie „engagiert“ die Redaktion mit gleich drei Journalistinnen investigativ einstieg, um den Ausblick aus Wüppesahl Wohnzimmerfenster den Lesern des HA zu beschreiben oder mit Anwohnern zu plaudern, die nun wahrlich nichts, aber auch rein gar nichts zu der Klärung dieses „Falles“ beitragen können. Wo ist eigentlich der Unterschied zur BILD und artverwandten Medien? Es handelt sich um Lückenfüller und Stimmungsmacher. Im Redaktionsteil. Und immer mit einer negativen (Vor)Verurteilungstendenz gegen Wüppesahl.

    Überlegt man, wie viele Pressemitteilungen der Kritischen Polizeibeamten seitens des HA über zum Beispiel Bambule-Demonstrationen, Todesschüsse durch Polizeibeamte und andere mehr ignoriert worden sind, weil sie offensichtlich inhaltlich nicht in das Konzept passten, den CDU-Senat, der ja nun „amtlich“ ausgewiesen mit Rechtsradikalen bzw. „charakterlich ungeeigneten“ Personen (Ole von Beust über das von ihm selbst ausgewählte Personal) - erst mit Ronald Barrabas Schill als Innensenator, Roger Kusch als Justizsenator -, möglichst unbeschädigt zu belassen, wird deutlich, auf welches journalistische Niveau sich das Blatt heruntergehangelt hat: während es um die angeblich ernsthafte Vorbereitung eines brutalen Raubmordes geht, ist etwas zu lesen über das Lauftraining Wüppesahls, einer nicht vorhandenen Tochter, einen (mehrfach) falschem Familienstand sowie vielen weiteren Tatsachen, die offensichtlich nach ebenso umfangreichen wie laienhaften Recherchen ans Tageslicht befördert worden sind, und gleichwohl – selbst im HA abgedruckt – so falsch bleiben wie sie es sind. Dies alles (und noch mehr) kann wohl kaum aus Versehen geschehen sein. Oder ist das HA doch so schlecht?

    Dem Blatt ist natürlich nicht entgangen, in welcher Weise Wüppesahl falschen strafrechtlichen Unterstellungen oder den grotesken, aber realen, Bemühungen seines Dienstherrn ausgesetzt war, ihn zum Psychiatriefall zu machen. Nichts darüber. Selbst die wenigen Darstellungen zu den rund 40 Strafermittlungsverfahren, die als eingestellt oder als Freisprüche aufgegriffen werden, sind vom HA mit Zweifeln und der Suggestion: „Da wird schon etwas dran gewesen sein.“ belegt. Genau wie später das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter, Gerhard Schaberg, so tut, als wenn es diese Vorgeschichte des Mobbing durch Strafverfahren und Psychiatrisierungen überhaupt nicht gäbe, um den vielfältigen Ansätzen auf diese These in dem verhandelten Verfahren nicht nachgehen zu brauchen.

    In dieser Weise ging es dauernd rauf und runter (mehr runter). Die Hamburger Morgenpost und der restliche Boulevard, BILD Hamburg, stiegen ein. Letztere fast eine Woche lang, sogar mit retuschierten Photos! Aber auch nationale Medien wie DIE Zeit, FOCUS und andere waren – auf ihre jeweilige Art – kaum besser. So schwadronierte der Hamburger Redaktionschef des FOCUS schon am 30.10.2004 darüber: “...im Bundestag saß, soll der Abgeordnete bei einer Dienstreise in Indonesien günstige Rattanmöbel erworben, diese per Diplomatenpost nach Deutschland geschickt und die Billigware dann teuer verkauft haben.“

    Für diesen Journalisten aus der besonderen Sorgfaltsklasse war wenige Tage nach der Festnahme schon klar, dass Wüppesahl morden wollte, wie die Überschrift es ausweist. - Tatsächlich hat Wüppesahl noch nie Rattan-Möbel gekauft. Schon gar nicht in Indonesien. Somit konnte er sie auch nicht teuer verkaufen... – Vielmehr wunderten sich Zollbeamte 1990 im Hamburger Freihafen darüber, dass ein damaliger Mitarbeiter seines Wahlkreisbüros aus Geesthacht einige aus Pakistan eingetroffene Gegenstände (keine Möbel) abholend, verzollte, nachdem sie zuvor als normale Fracht angekommen waren: „So etwas haben wir noch nicht erlebt. Wieso zahlt ein Bundestagsabgeordneter denn Zoll?“ – Ausgerechnet jemand, wie Wüppesahl, der penibel darauf achtete, dass er gerade nicht die vielfältigen fragwürdigen „Vergünstigungen“, die das Bundestagsmandat mit sich brachten, in Anspruch nahm, wird mit solchem Schmutz überzogen. Was finden dort für Projektionen statt?

    Und im selben Artikel des FOCUS tobt sich der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, über das GdP-Mitglied Thomas Wüppesahl aus:
    “Den spektakulären Fall nutzt Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zu einem Angriff auf die Hamburger Innenbehörde. Es sei ein Skandal, poltert Freiberg, dass „Wüppesahl trotz seiner ganzen Vergehen noch immer als Beamter beschäftigt ist und weiter sein Gehalt bezieht“. Schon längst hätte er aus dem Polizeidienst entfernt werden müssen.“ – Wohin man blickt: einer toppt den anderen mit Vorverurteilungen. Freiberg, ein Gewerkschaftsfunktionär aus Hamburg, der Wüppesahl sogar ziemlich gut kennt, produziert wider besseren Wissens sogar nicht vorhandene „Vergehen“ in Wüppesahls Vita. – Dass es auch anders geht, zeigten andere Redakteure des FOCUS z.B. zur Wirtschaftskriminalität, Rechtsradikalität in den Polizeien oder Korruption unter Polizeibeamten.

Wüppesahl konnte den ganzen Umfang dieser „Bericht“erstattung erst wahrnehmen, nachdem er im Oktober 2007 aus der Strafhaft entlassen worden war. So wie es über Nebensächlichkeiten munter zur (Vor)Verurteilung ganz im Sinne des Böll-Klassikers „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ ging, so ähnlich kraß war es auch in den wichtigen Punkten der Anklage bzw. der Verteidigung: Unwahrheiten wurden als wahr hingestellt. Recherchen und Nachdenken stellten Ausnahmen dar.

In zwei Fällen trat er schriftlich aus der Untersuchungshaft an eine Tageszeitung bzw. den Deutschen Presserat heran. Auch die Reaktionen waren ernüchternd.