„Der letzte Parlamentarier“

Erst in der dritten Sondersitzung der grünen Bundestagsfraktion wurde Wüppesahl im November 1987 aufgrund vielfachen Drängens aus Schleswig-Holstein – der Landesverband forderte das imperative Mandat – bei anerkannt hoher fachlicher Arbeit aus der Fraktion ausgeschlossen.

Parlamentarier
Der letzte Parlamentarier. Titanic, Nr. 1, 1991

Dadurch verlor er seine parlamentarischen Funktionsämter, weil die allein an die Mitgliedschaft in einer Bundestagsfraktion gekoppelt waren. Diese unwirklich scheinende Abhängigkeit sämtlicher Einzelabgeordneter von einer Fraktionszugehörigkeit (Fraktionen sind im Grundgesetz nicht verankert, nicht einmal erwähnt) galt es nunmehr zu verändern. Er hatte diese Entmachtung erst mit Fraktionsausschluß für sich realisiert.

Somit schuf Wüppesahl durch verschiedene Geschäftsordnungsinitiativen, dem Versuch Gesetzesentwürfe, Kleine Schriftliche wie Große Anfragen, Anträge, Gesetzesänderungsanträge usw. in das Plenum des Deutschen Bundestages einzubringen, die Grundlagen für ein erfolgversprechendes Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

Dabei war nachvollziehbar, dass ihn viele der Abgeordnetenkollegen unterstützten und hofften, dass mit einem bedeutsamen Erfolg seiner Organstreitklage ihre Spielräume in den Fraktionen vergrößert werden könnten. Gleichzeitig schuf ihm sein von der Sache her notwendiges Vorgehen zwar bei manchen seiner Abgeordnetenkollegen Verdruß, aber es war unumgänglich, um nachzuweisen, dass nach den bis dato geltenden Regeln der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages die Abgeordneten zu Marionetten der Fraktionsgeschäftsführung und letztlich ihrer Parteien gemacht werden. Und: dieses Thema ist so aktuell wie vor 20 Jahren.

Wüppesahl arbeitete in der Initiative Parlamentsreform unter Frau Hildegard Hamm-Brücher (FDP) mit und strengte deshalb als fraktionsloser Abgeordneter ein Organstreitverfahren gegen Bundestag, Bundestagspräsidentin und Bundestagsfraktionen vor dem Bundesverfassungsgericht an. Das Bundesverfassungsgericht entschied nach unzumutbar langer mündlicher Verhandlungsdauer an einem Tag Anfang 1989 mit über 10 Zeitstunden bis tief in die Nacht hinein. Es ging augenscheinlich um sehr viel und weit mehr als letztlich herausgekommen ist. Das Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 – (BverfGE 80, 188) besagte:

Alle anderen Anträge Wüppesahls, wie

und anderes mehr wurden allein aus formalen Gründen (abgelaufene 6-Monats-Frist) zurückgewiesen. Diese Entscheidung aus „Karlsruhe“ gehört nicht zu den weisen Entscheidungen, da die Gängelung der Abgeordneten durch die Fraktionen/Parteien ungeahnte Ausmaße angenommen hat.

Somit wurde die Aneignung des Parlaments durch die Parteien wurde nicht entscheidend gestoppt, sondern nur leicht behindert.

Rückblicke

Bis zum Ende der 11. Wahlperiode 1990 war Wüppesahl Mitglied des Deutschen Bundestages. Er gehört mit 113 Redebeiträgen in der 11. Wahlperiode zu den aktivsten Abgeordneten in der Geschichte des Bundestags. Bundestagsdrucksachen und Plenarprotokolle machen seine Präsenz und Teilhabe offenbar.

Unter anderem kritisierte Wüppesahl im Bundestag im Februar 1990 an der Methodik der Wiedervereinigung: „die völlige Beseitigung jeglicher Einflußmöglichkeiten der Menschen in der DDR auf den Ablauf dieses Vorgangs.“

Die Zeitschrift Titanic würdigte Wüppesahl 1991 als den letzten Parlamentarier.

Zum Festakt des 60. Jahrestags des Bundestags im September 2009 eingeladen, wurde Wüppesahl als der Abgeordnete vorgestellt, der „vom Recht eines fraktionslosen Abgeordneten ausgiebig Gebrauch gemacht hatte, zu jedem Tagesordnungspunkt einer Bundestagssitzung sprechen zu dürfen.“

Wie bedeutsam die Wüppesahl-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch heute noch ist, zeigt sich an dem aktuellen Versuch der Bundesvorstände der Parteien von CDU, CSU, FDP und SPD über "ihre" Parlamentarischen Geschäftsführungen und Fraktionsvorstände die Rederechte der einzelnen Abgeordneten noch weiter einzuschränken. Bei diesem verfassungswidrigen Vorgehen zum weiteren Disziplinieren der einzelnen Abgeordneten haben die "Macher" auch keine Hemmungen in die Rechte des Bundestagspräsidenten einzugreifen. Der Bundestagspräsident ist immerhin von den fünf Verfassungsorganen die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben protokollarisch an zweiter Stelle gesetzt.

Hierzu siehe bei Interesse: